Unser Šediváčkův Mid (Tour) 2015

„Na prašan“ lautete 2014 die Abschiedsformel der Siegerehrung, was soviel wie „auf Pulverschnee“ bedeutet und diesen für 2015 beschwö-ren sollte. Immerhin erlösten Schneefälle  im Adlergebirge rechtzeitig alle bangenden Teilnehmer und die Organisatoren, das Rennen kon-nte für Schlitten bestätigt werden. Wie extra zu meiner Beruhigung sprang bei meiner Ankunft am Montag zu Mittag die Temperaturan-zeige meines Autos exakt an der Ortstafel „Deštné v Orlických ho-rách“ auf – 1 °C. Die Aussicht auf 60 cm Schnee am Berg und herun-ten auch genug für Kufen und Skier war sehr beruhigend, zusätzlich waren weitere Schneefälle und kältere Temperaturen angesagt.

 

Andrea war auf meine E-Mail schon aktiv geworden und hatte für mich ein Bett in der Dependence der Chata Kristyna organisiert – per-fekt! Wer mein Zimmergenosse war? Renntierarzt Dr. Jerry Vanek! Das war Anlaß zu doppelter Freude, hatten wir doch schon vergange-nes Jahr lange gute Gespräche geführt und ich dabei viel gelernt. Außerdem war Sannerk nicht zu 100 % fit … und bald befand er sich in Jerrys Händen. Innerhalb der ersten Minute war er voller Vertrauen zu ihm und ließ eine Grunduntersuchung aller Gelenke mit Beugen, Strecken und Dehnungen über sich ergehen, er schien diese Prozedur geradezu zu genießen! Mit einer Cranio-Einheit für seinen Rücken beendete Jerry Sannerks Behandlung und er begann mich systema-tisch zu befragen. Sannerk hatte vor gut drei Wochen beim Spiel auf einer Hundewiese kurz aufgejault und wirkte daraufhin etwas ge-dämpft. Das Röntgenbild zeigte eine Wirbelsäule wie aus dem Lehr-buch, doch Muskulatur und Haut reagierten in einem bestimmten Rückenbereich auf Aktivierung eines Schmerzpunktes. Er bekam ein entzündungshemmendes Medikament, dessen Einnahme knapp vor unserer Ankunft beendet war. Es ging ihm bereits deutlich besser, aber er war eben noch nicht wieder der Alte. Es fehlte ihm noch die übliche Leichtigkeit und Fröhlichkeit, bergauf schonte er sich noch immer etwas und ins Auto sprang er auch nicht gerade freudig. Mit Jerry im Rücken entschied ich mich guten Gewissens für den Einsatz von Sannerk unter meinem Argusauge. Zur Teestation, dem einzigen Checkpoint wo Hunde nach ca. 15 Kilometer abgegeben werden können, konnte ich das Einzelzuggestänge für meine Pulka mitgeben, um ihn im Falle des Falles droppen und nur mit Sheyenne vor der Pulka weiterfahren zu können. Außerdem würde Jerry vor Ort sein …

 

Begrüßungen und Wiedersehensrituale füllten auf derart angenehme Weise den restlichen Tag, daß ich doch tatsächlich Jerrys diesjährigen Vortrag verpaßte! Doch ich hatte Glück, denn Bewegungsapparat und Gangarten von Schlittenhunden sowie das Erkennen von Problemen hatten wir bereits während Sannerks Untersuchung besprochen, bloß die Bilder habe ich nicht gesehen.

 

Der Dienstag, der Tag vor dem Start, war neben Vorbereitungen und Vetcheck weiterhin sozial geprägt. Auch mein Tschechisch habe ich um meine Nummer in der Chata Kristyna vorangetrieben, 66. Im Vor-jahr hatte ich 57 und zwei Biere hätte heuer fast Ralf bezahlen müs-sen, wäre mir nicht aufgefallen, daß ich mit stolzem Brustton der Überzeugung auf 67 anschreiben ließ, was aber seine Nummer war ;) Einer der Spaziergänge  mit meinen beiden Hunden führte uns auf den ersten Trailabschnitt, unsere Entdeckungen waren jedoch alles andere als Anlaß zur Freude: Die Wiese nach dem Starthang wies in einem Bereich offene Gerinne auf und die beiden Bächlein sprudelten munter vor sich hin. Weder von Eis, noch von Schnee bedeckt sah ich erstmals die Betonfassung der Sohle eines der beiden Wasserläufe, dem anderen folgten einige schneelose Meter. Doch nach der Stras-senquerung in Destne sollte man auf gutem Trail unterwegs sein.

 

Die Eröffnungszeremonie fand diesmal bei den ca. zwei Kilometer entfernten Skiliften in Deštné statt, nicht gleich hinter der Chata Kristyna wie sonst. Beim Mushermeeting wurde unter anderem die Streckenkürzung für den ersten Renntag von den geplanten 64 km auf 51 km bekannt gegeben., was mir wegen Sannerk nur recht war.

Am Mittwoch ging es an den langersehnten, aber diesmal nicht ganz unbeschwerten Start. Nach geleisteter Starthilfe und Verdauungs-problemchen wie längerer Suche eines Ausrüstungsteiles verspätet am Start, wurde ich später ganz unkompliziert zeitgleich mit einem Hundegespann gestartet. Wir waren wieder am Trail, im Schnee - das ist immer ein erlösender Augenblick! Wie gewohnt lief und marschier-te ich den Skihang nach dem Start hinauf und schnallte mir die Skier erst oben an. Die Überlegungen, die Skier erst nach den Bächen oder nach der Straßenquerung anzulegen, blieben Überlegungen. Da ich mich an der Pulkabremse anhalten konnte, zogen mich die Hunde ge-fahrlos durch den morastigen, schneelosen Teil der Wiese und auch die Bachquerungen erwiesen sich als harmloser denn befürchtet. Bei den herrschenden Temperaturen um die 0 °C gleiteten Kufen wie Skier nach dem Naß und dem erdigen Anstieg gleich wieder, keine Bremswirkung war zu spüren wie bei Minusgraden. Auch die Straßen-querung war diesmal gar kein Problem. Vom Hang gelangten wir dies-mal eben auf die Straße, auf der extra für uns eine Schneebahn an-gelegt war. Von da an ging es bergauf, mit jedem Höhenmeter wurde es besser und bald tauchten wir in den in Nebel gehüllten Rauhreif-wald ein. Natürlich war an jenem Tag die Kamera im Zimmer geblie-ben …

Nach zwei Stunden passierten wir die Teestation und Sannerk lief unauffällig, also blieb er im Team. Die nächste Entscheidung wurde somit am KO-point fällig. Vor der kleinen Tobboganabfahrt (mit dem Quellhäuschen) riet mir Rampusak (alias: Medicineman) ohne Skier zu laufen, denn es gäbe Stellen mit Eis und Steinen. Das tat ich auch, aber mit der Pulkabremse hätte die Abfahrt auch mit Skiern funktio-niert.

Dann der KO-point: Sannerk lief noch immer gut, also ging es für uns zu dritt weiter. Bei der Abfahrt Richtung Grenze zu Polen begann er das Tempo zu reduzieren und er hätte später ohne Aufmunterung fast angehalten. Vielleicht wollte er auch bloß mehr als ein schnelles Maul voll Schnee fressen, jedenfalls nützte er zwei Pinkelpausen meiner-seits liegend zur Regeneration. Von der Talsohle mußte ich ihn über die Wiesenhang noch bis an den Waldrand motivieren, denn er wollte offensichtlich nicht bergauf. Am Waldrand angelangt hielt ich dann zur Pause an. Es gab Snacks für alle, Aufmerksamkeiten für die Hun-de sowie eine Massage sowie sanftes Dehnen der Mittelhandgelenke für Sannerk. Für die Rückfahrt ließ ich Sheyenne im Lead laufen. Das wollte ich ohnehin wieder einmal machen und in dieser Situation er-hoffte ich eine Entlastung für Sannerk. Sie kann ja alle Kommandos und ist auch bereits im Lead gelaufen, aber er ist einfach mein Leader und er macht es gut wie gerne. Die Heimfahrt verlief völlig problem-los, Sannerk lief Sheyenne einfach hinterher, er zeigte wieder seine Laufkonstanz. Ab dem KO-point kam meine Stirnlampe zum Einsatz und ein Stück des Weges fuhren wir gemeinsam mit dem Marathon-hund-Team. Die Verkürzung der Strecke wurde am letzten Trailab-schnitt vorgenommen, nach der Überraschung des Hohlweges (eine dritte – wenn auch harmlose – Tobboganabfahrt sozusagen) kamen wir unerwartet nahe ober dem Zielhängen aus dem Wald. Alles war gut gegangen!

Der Donnerstag wartete schon früh mit 5 °C und Sonnenschein auf. Die ersten Kilometer waren für die Hunde, speziell für Sheyenne, durch die hohe Temperatur und die hohe Luftfeuchtigkeit ziemlich anstrengend. Sie lief zudem wieder im Lead, nach der Pflichtpause am Biwakplatz wollte ich dann wieder die Positionen der Hunde tau-schen. Das Einzelzuggestänge war wieder zur Teestation gebracht worden und ich beobachtete Sannerk wiederum besonders aufmerk-sam. Heute hatte ich den Photoapparat dabei, aber der Rauhreifzau-ber war vorbei …

Die 40 Kilometer bis zur Pflichtpause verliefen gottlob unspektakulär, beide Hunde liefen brav. Sheyenne ist ja nicht gerade ein Tempo-macher, aber eine konstante Arbeiterin. Bis auf zweimal war sie im-mer gut zu dirigieren. Einmal wollte sie einfach nicht an den linken Trailrand, also gab ich die Anweisung, an den rechten Trailrand zu laufen. Das funktionierte besser, aber für das überholende Team war der Platz eng. Ein Hundekopf des überholenden Teams bewegte sich plötzlich auf Sheyennes Rücken zu und blieb auf ihrer Schulter liegen - geistesgegenwärtig hatte Günter Takacs sein Team gestoppt und die Szenerie eingefroren. Keine Beißattacke, nein, ein Hund war ein-fach neugierig und hatte mit seinem Kopf von unten zwischen Pulka-gestänge und Sheyenne eingefädelt. Perplex standen alle wie ange- wurzelt da, Sheyenne drehte ihren Kopf in den Wald ... Noch bevor ein Schneeanker gesetzt war konnte sich der Verfangene befreien und wir trennten uns unbeschadet.

Da Sannerk üblicherweise im Lead läuft, waren die Stabilisierungs-riemen seines Pulkageschirres kürzer eingestellt, was sich für der hinteren Position als zu kurz erwies. Nachdem mir aufgefallen war, dass das Pulkagestänge in einem konvexen Bogen verlief (sein Schul-tergürtel musste mit dem Großteil der 3 kg des Pulkagestänges be-lastet gewesen sein), verlängerte ich diese Riemen und das Gestänge verlief wieder gerade von der Pulka bis zum vorderen Bogen. Was aber wichtiger war: Sannerk lief schlagartig entspannter und locke-rer!

Die Pflichtpause verlief wie üblich: Hunde snacken und wässern, knuddeln, selbst warm anziehen und die durchnässten Socken gegen trockene tauschen, Handschuhe und Langlaufschuhe trocknen, plau-dern. Dank Andree musste ich auf Bier, Kofola und Steak im Pausen-zelt nicht verzichten, denn die Tschechischen Kronen hatte ich natür-lich nicht dabei. Dann ein wenig Aufregung, denn als ich meine Lang-laufschuhe von den warmen Heizungsrohren des Gebäudes holen wollte, wo wir beim Biwak immer Wasser holen können, war dieses versperrt und niemand vor Ort. Ein hilfreicher Geist samt Reserve-schlüssel war jedoch in der „Bärentöterhütte“ rasch gefunden, sodaß ich wieder trailtauglich war und um 19:00 Uhr mit den letzten Pausie-renden auf den nächtlichen Trail entlassen werden konnte. Eine Be-sonderheit gibt es jedoch zu berichten: Die Unterlagsmatte für die Hunde, die ich bisher immer umsonst mit dabei hatte, war diesmal gerne angenommen worden. Der nasse Schnee überzeugte sogar Sheyenne!

Am Rückweg lief Sannerk wieder im Lead. Seine Ohren rückten wie-der näher zusammen und je länger wir unterwegs waren, umso bes-ser wurde das Laufbild und die Stimmung. Trotz der Plusgrade (auch in der Nacht tropfte Wasser sogar von den Bäumen am Kamm, die am ersten Tag noch von Eis und dickem Rauhreif überzogen waren) gleiteten Pulka und Skier gut. Der Hohlweg zu den Zielhängen war streckenweise ein einziger Schlammstreifen und nach kurzen Beden-ken, wie ich da (mit Skiern) runterkommen soll, waren wir schon drauf. Erstaunlicherweise ging es viel besser als erwartet. Die Pulka wurde gut gebremst und mit den Skiern konnte ich den Schnee links und rechts befahren. Nachdem ein Gespann hinter mir anscheinend umgekehrt war, brachten wir an diesem Tag die Rote Laterne ins Ziel. Froh über die Erholung Sannerks war ich später sehr erstaunt, mit Sheyenne als Leaderin im gleichen Geschwindigkeitsbereich unter-wegs gewesen zu sein wie mit Sannerk. Tja, die subjektive Wahr-nehmung! 

Zwei Stunden nach dem Füttern ging Sannerk die ersten Schritte etwas steif, aber zu Beginn der letzten Runde hinkte er. Als er am nächsten Tag die ersten Schritte ebenfalls hinkte war für mich klar: Auf uns wartete kein Trail des 19. Czechlongtrail mehr. Dieser Ent-scheidung waren zahlreiche Überlegungen vorangegangen und auch mit Jerry besprochen. Abgesehen davon, daß auch er gegen einen Teilnahme unter Medikamenten ist, verhalf mir eine seiner Erzählun-gen zur finalen weil entscheidungsfindenden Frage: Als Rennveterinär sieht er sich als „Medical Coach“, der Mushern hilft, bei Rennen eben-so professionell zu agieren und entscheiden wie bei einem Trainings-lauf. Da lag die Frage nahe, was ich zu Hause oder während einer Lapplandtour machen würde! Es lag kein Notfall vor, also würde ich einen Ruhetag einhalten. Und genau das war auch hier zu tun, selbst wenn die erfolgreich gefahrene Pulkawertung zum Greifen nahe war. Punkt.

Massieren, beugen, strecken und vor allem dehnen der Karpalgelenke mit halbstündigen Bewegungseinheiten an der Leine zeigten auch bald erfreuliche Wirkung: am Sonntag hinkte Sannerk gar nicht mehr. Eine schönere Bestätigung meiner Entscheidung gibt es wohl kaum! So sind wir auch diesmal im Grünen Bereich geblieben, bloß ein Ski-stock fügte sich im Zielhang der Liste von Ausrüstungsgegenständen hinzu, die nicht weiter zu verwenden sind ;) 

 

Liebe Šediváčkův-Long-Familie, es war trotzdem wieder einmal eine schöne Zeit mit Euch, danke Euch allen! Die aufgekeimte Idee, Ende Jänner einmal etwas anderes zu unternehmen, ist schon wieder vom Tisch … und sei es nur, weil ich mich mit meinem „Konkurrenten“ Gunther geeinigt habe, daß wir nächstes Jahr beide in der Pulkawer-tung finishen ;) Nein, ich freue mich schon jetzt wieder darauf - nach dem Rennen ist vor dem Rennen J!

Das „Na prašan“ sollten wir aber noch etwas üben, damit uns 2016 zum 20jährigen Jubiläum des Šediváčkův Long auch wirklich Pulver-schnee und Minusgrade erwarten!