Sedivackova 111

Mein erstes Dogtrekking 

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Sedivackova 111
Sumava, Horni Vltavice, 4. - 6. Juni 2009

Eure Hinweise, daß so eine Dogtrekkingdistanz bei einer gewissen Grundkondition eine Kopfsache sei, hat sich für Sannerk und mich bestätigt. Auch wenn - oder gerade weil - mein Schuhwerk als alles andere als optimal zu bezeichnen war. Letztendlich bin ich aber doch mit meinen alten Bergschuhen marschiert, die wie die Stöcke bei diesem Gelände eigentlich nicht nötig gewesen wären. Aber mit den neuen orthopädischen Sporteinlagesohlen haben sie noch annähernd genug Freiraum für die Zehen gelassen, wenn sie perfekt geschnürt waren. Der Nachteil: nun ja, ich nenne sie schon seit einiger Zeit "Schraubstöcke", weil die Polsterung im Knöchelbereich einfach nicht mehr ausreichend vor den Nieten der Schnürhaken schützt. Die tollen, neuen leichten (aber nun etwas zu kleinen) Trekkingschuhe werden in Zukunft für Waldspaziergänge bis zu drei Stunden hergenommen, oder einmal ohne Einlagesohlen ausprobiert. Es ist halt schon ein gewaltiger Unterschied, ob Schuhe vier oder vierzehn Stunden im Einsatz sind! Ihr habt wohl auch schon vom Transamerica gehört, wo der wahnsinnige Österreicher, der da immer bravourös mitradelt, am Abend VIER Schuhnummern größer als in der Früh benötigt ...

Für die Anreise wählte ich die direkte Variante über das Waldviertel, weil ich Zeit hatte und die Landschaft genießen wollte. Das Wetter war ideal zum Reisen, leicht bedeckt bis sonnig und die Luft angenehm frisch, wie später beim Dogtrekking auch. Als in Vimperk vor mir ein mit Rucksäcken vollbepackts Auto einbog, mußte ich bis zum Lagerplatz an der Ortseinfahrt von Horni Vltavice nur mehr folgen: die ersten Weggefährten!
Nach dem Zeltaufbau lernte ich mein erstes - lustiges - neues Wort: "Ahoi" zur Begrüßung - wo ist das Meer ;-)? Andrea Müller-Kucera, die ich schon von E-Mails kannte, begrüßte mich in meiner Muttersprache, erklärte alles Nötige und machte mich mit Holger Steiner bekannt, dem einzigen Deutschsprachigen außer mir.
Dieser Longtrailer aus Baden-Würtemberg, der zu Hause als Verrückter gilt, weil er mehr als einen Hund hat, lud mich nach kurzem Plaudern auf ein feines mitgebrachtes Weißbier ein. Mit Brot und Wurst als Unterlage fand ich mich nach erfolgter Hundefütterung vor seinem Kleinbus ein und der gemütliche Abend begann. Glühwein wäre eine gute Sache gewesen, denn die Temperatur zog bald empfindlich an. Deshalb wechselten wir schließlich auch für ein Aufwärmbierli ins kleine Lokal bei der Tankstelle, aus dem dann natürlich mehr wurden. Dieser "crazy German" ist unter der Longtrailern bekannt wie ein bunter Hund (unter bunten Hunden) und immer wieder verabschiedete er sich kurz für die ein oder andere flüssige oder trockene Begrüßung. Interesse und Streicheleinheiten für Sannerk entschärften die Sprachbarriere und die Zurückhaltung der anderen Dogtrekker und das ein oder andere Gespräch in Englisch oder Deutsch kam in Gang. Die Zeit verflog mit Erzählungen und Geschichten über gemeinsame Bekannte aus der Schlittenhundeszene und mit Holger war zumindest ein gemeinsamer Start geschmiedet. Er nahm auch zum ersten Mal an einem Dogtrekking teil, um [Ramboschak] (übersetzt: Rübezahl), ein Arbeitstier erster Güte, auf seine Eignung als Leithund auszutesten und die Beziehung zu intensivieren. Ramboschak ist ein gut 45 kg schwerer Malamuterüde. "Entweder hat er mich nach 20 km kaputtgeschleift oder wir kommen durch" war er überzeugt. So kamen wir auch überein, nach dem Start frei das eigene Tempo zu gehen und uns nicht aneinander zu ketten. Vier Riegel "Traditional Swiss Army Dark Schokolade Survival Portion with Caffeine of Guarana" gab er mir noch mit auf den Weg.

Nach einer Zeltnacht um den Gefrierpunkt (Rauhreif auf Autos und Zelten) starteten wir um 07:43 h und dieser riesige Rüde war ein sozialverträglicher Malamute! Sannerk konnte sich ganz locker in seiner Umgebung bewegen, ohne sich unterworfen zu haben. So etwas habe ich mit Malamuterüden noch nicht erlebt, weshalb ich das auch so hervorhebe. Diese Sozialkompetenz sei für seine Zuchtlinie typisch, erzählte Holger. Ramboschak entstammt der Verbindung einer tschechischen und österreichischen Arbeitslinie, letztere geht auf eine Population aus Whitehorse zurück. Als wir uns während der ersten Trinkpause nach den ersten Kilometern, teilweise schon auf Holzstegen durch Sumpfwiesen mit Orchideen und Wollgras, bei Kubova Hut (ca. 800 Hm) wieder trafen, funktionierte es mit den beiden schon relativ gut. Danach habe ich sie erst wieder mit passabler Zeit auf der Ergebnisliste und auf einigen Photos tschechischer Weggefährten gesehen, eines zeigte sie auf einem Zebrastreifen - sogar "bei Fuß"!
Der anschließende Anstieg auf den Boubin (1362m) führte über Forststraßen und das letzte Stück der ersten 7 km zum Aussichtsturm über einen Wanderweg. Die tolle Aussicht vom Holzturm habe ich jedoch erst auf der Urkunde und durch Photos genießen können, denn wir sind gleich weitermarschiert. Dafür kamen beim steilen Abstieg über 300 Höhenmeter Waldweg die Wanderstöcke das einzige mal geländetechnisch zum Einsatz, ich habe sie somit nicht ganz umsonst mitgetragen. Weiter ging es durch eine sanfte Wald- und Wiesenlandschaft, deren Ausblick wir auch bei unserer zwanzigminütigen 20-km-Pause genossen - ich zumindest.
Durch das malerische Flußtälchen des Blanice gelangten wir zum ersten Checkpoint mitten in der Ortschaft Husinec (ca. 500 Hm). Den alten Holzsteg mit den Stufenbrettern zum Durchschauen hat Sannerk tapfer gemeistert; zu Hause verwenden wir immer den Lift, da ihn ein Stiegenhaus mit soviel Durchblick nach unten noch sehr verunsichert. Kurz vor der Ortschaft war ich mit zwei Samojedenhündinnen, natürlich mit deren anderen "Leinenenden" ins Plaudern gekommen. Ironischerweise war Ilona besonders erfreut darüber, endlich einen englischsprechenden Österreicher getroffen zu haben, wobei mich bisher die meisten Dogtrekker auf meine englischen Worte nur freundlich achselzuckend angesehen haben. Dank Ilona und Jan Guziur habe auch ich den Checkpoint passiert und meine Kontrollkarte gestanzt - ich wäre gleich am Ortsanfang vom Wanderweg mit der gelben (zlutá) Markierung in jenen mit der roten (cervená) abgebogen ... Hundeleckerlis wurden bei der kurzen Stärkung an Amira, Berenika und Sannerk gleichermaßen verabreicht und für mich gab´s ein Stück Apfelstrudel, das zu den besten meines Lebenz zählt: mit säuerlichen Äpfeln, viel Rosinen und Nüssen, Zimt, dafür wenig Zucker. Wie von meiner Oma, herrlich!
Am Weg nach Prachatice (ca. 600 Hm) haben wir sie später wieder verloren. Dort waren 42 km geschafft, die Hälfte der Strecke. Über einen Kreuzweg kamen wir in diese alte Stadt mit dem wunderschönen historischen Stadtkern. Als ich vor einem Wohnblock die Tafeln mit den Radwegen der Umgebung sowie den Stadtplan mit meiner Wanderkarte verglich, wurde ich von einem pensionierten Förster mit Kurzhaardackeldame angesprochen, der mir dann im schönsten Deutsch den besten Weg aus der Stadt beschrieb. Währenddessen war Sannerk seelig entschlummert :-). Deshalb belegte ich einfach den Tisch und eine Bank drei Meter daneben für eine Jause und ließ mich eine Stunde lang bis 16:20 h von angenehm milden Sonnenstrahlen verwöhnen. Daß gerade ich Waldläufer im verbauten Gebiet meine lange Pause mache, wird diejenigen, die mich besser kennen, zum schmunzeln bringen ...
Aus der Stadt herausgefunden fiel die Orientierung gleich wieder leicht und wir erreichten bald den richtigen Weg. Auf den Libin (1095 Hm) mußte ich Sannerk hinauftreiben, er wollte nicht mehr so recht - so einsam und fast alleine ... Oben angekommen wollte ich bei der Gastwirtschaft neben dem gemauerten Aussichtsturm auftanken, doch sie hatten kurz davor ihre Sperrstunde. Liebenswürdigerweise wurde ich von den anwesenden Wanderkameraden mit Hundewasser, Tee und wiederum den bereits bekannten, herrlichen Apfelstrudel versorgt. Ja, "die Samojeden” waren auch dabei! Da wir kurz nach ihnen weiterzogen, konnte sich Sannerk für den Aufstieg revanchieren, indem er mich bis zu Amira und Berenika den Berg auf der anderen Seite hinunterzerrte, was ich schmunzelnd und ohne Fluch sowie scharfes Wort für Sannerk hinnehmen konnte - Wanderstöcke sei Dank!
Eigentlich hatte ich während des Aufstieges beschlossen, nach dem Gipfel nur mehr zu einer guten Wasserfassmöglichkeit weiterzumarschieren und danach zu biwakieren. Aber Sannerks Motivation war inmitten der weißen Wuscheln wieder derart aufgefrischt, daß ich das Tagespensum vorerst offen ließ. Auch Ilona und Jan wollten solange weitergehen, wie es eben ging. Gemeinsam zogen wir letztendlich über Wiesen, Stock und Stein wildromantischer Flußtälchen um Hus sowie durch Wälder wie Feuchtwiesen bis in die Finsternis nach Volary (ca. 800 Hm), wo wir dann nach 68 km Tagespensum und mehr als 20 gemeinsam zurückgelegten Kilometern unser Nachtlager aufschlugen und sofort tief und fest schliefen. Eine nette Erinnerung ist auch der Tausch von Dopingmitteln: "Pikao", eine vorzügliche tschechische Schokolade aus der Tube gegen einen meiner ebenfalls neuen Schweizer-Armee-Überlebens-Schokoladeriegel.

Am nächsten Morgen konnte ich mich erstaunlicherweise sofort gut und schmerzfrei bewegen und ich war mit Sannerk ab 06:30 h wieder “on the trail”, um die letzten 15 Kilometer unter die Pfoten und Füße zu bringen. Wären wir nach dem ersten Wecksignal aufgestanden, dann hätten wir es tatsächlich innerhalb von 24 Stunden ins Ziel geschafft. Ab 08:00 h war mit Regen zu rechnen, diese Aussicht war für einen zeitigen Aufbruch natürlich ein schwerwiegendes Argument ...
Die einzig wirklich ungute Passage führte nach dem 2. Kontrollpunkt an einem Denkmal für einen amerikanischen Soldaten ca. 3 km über eine Hauptstraße nach Lenora/Eleonorenhain (wie ein Kriegerdenkmal aus dem Ersten Weltkrieg verriet, ca. 800 Hm), weil wir nicht durch das Naturschutzgebiet durften. Diesen Bereich wollte ich auf keinen Fall in der Finsternis gehen, sonst hätte ich ursprünglich auch an ein Durchmarschieren gedacht. (Aber alleine für die malträtierten Füße war die Nachtruhe eine Wohltat.) Fast alle Fahrer der entgegenkommenden Lastkraftwagen erwiesen sich dann als freundlich, sie wichen großzügig auf die andere Straßenseite aus und winkten auf meinen Dank hin zurück. Die Entscheidung für das Tageslicht erwies sich auch in der Ortschaft als gut, denn die Markierung des blauen (modrá) Wanderweges führte im Vergleich zur Karte über einen anderen Streckenverlauf und wir mußten zweimal nach ungefähr 30 Metern umdrehen. Der Rest war ein “Heimrutschen” über kaum befahrene Straßen entlang eines Flußtälchens mit Feuchtwiesen und Baumreihen sowie nach Zaton durch einen Wald. Um 09:31 h (nach 15 3/4 Stunden reiner Gehzeit für 83 km) im Ziel gab es gleich die übliche Flüssigkeitsration und auch eine Stärkung sowie eine kleine Massage für Sannerk. Zufrieden lanzelten wir in der Sonne, die letzten Biokeksi wurden gemeinsam vernichtet und eine vorgezogene (und für diesen Tag erste von zwei vollen Portionen) Fütterung setzten einen wohligen Schlußpunkt unseres ersten Dogtrekkings.

In einer Landschaft, deren Schönheit mich einmal an die Wechselgegend, dann an Südschweden, ein bißchen an den Wienerwald und eigentlich - nicht nur der braunen Gewässer wegen - an den Bachern (Pohorje) in Slowenien erinnerte, sind wir bei sehr angenehmen Wetterverhältnissen (weder Hitze noch Regen) in eine neue "Liga" des Wanderns vorgedrungen und haben entsprechende Erfahrungen sammeln dürfen.
War ich mit Ilona und Jan einig darüber, daß 40 - nun gut - 60 km auch genug gewesen wären, so hatten andere Trekker deponiert, daß es ihnen die Strecke heuer wohl etwas zu kurz war. Nun, wo der Wundschorf von den Knöcheln und dem linken Fußrist abbröckelt und bei Lösung der leidigen Schuhfrage ... Vielleicht mach´ ich´s auch wie Kai und laufe? Ein Blick in die Ergebnisliste läßt mich mit der Platzierung in der soliden Mitte sportlich sehr zufrieden sein und Sannerk ist nun schwarz auf weiß ein Grönländer, bitteschön! "Indianerlauf", also gehen und laufen im Wechsel, wäre auch noch eine Variante ...

https://picasaweb.google.com/UdoTru/2009060506Sedivackova111DT#

Auch wenn ich mittlerweile in Erfahrung bringen konnte, daß Kofala kein cocacolaähnliches Getränk sondern eine Kräuterlimonade ist, habe ich sie noch nicht gekostet. Ich MUSS also sowieso nochmals zu einem "ausgewachsenen" Dogtrekking ... ;-)!